Urteil des fiktiven LG Südlingen vom 28.06.2024
Die rasanten Fortschritte im Bereich der Künstlichen Intelligenz setzen sich in allen Sektoren unaufhaltsam fort. Wir stehen an der Schwelle zu einer „vierten industriellen Revolution“, die verspricht, Produktionsprozesse zu beschleunigen, die allgemeine Sicherheit durch Minimierung menschlicher Fehler zu erhöhten und Ressourcen effizienter zu nutzen.
Doch mit diesen Entwicklungen gehen auch erhebliche Herausforderungen für die Justiz einher. Insbesondere das Zivilrecht, das traditionell auf menschliches Handeln ausgerichtet ist, steht scheinbar vor der Aufgabe, sich an die neuen Realitäten anzupassen. Die Frage, inwieweit Gesetzgeber und Gerichte hier Handlungsbedarf haben, ist von höchster Relevanz. Themen wie die Anwendung der aktuellen Gesetze des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) auf Maschinen und KI sowie der Umgang mit technischen Fehlern sind nur einige der vielen offenen Fragen.
Um sich auf die unvermeidbaren bevorstehenden rechtlichen Auseinandersetzungen rund um Künstliche Intelligenz vorzubereiten und eine richterliche Einschätzung zum Umgang mit KI, Smart Contracts und Blockchains zu gewinnen, wurde am 28. Juni 2024 ein fiktiver Fall zum Vertragsschluss mittels KI simuliert. Im Zentrum des Planspiels stand die Frage, ob Verträge, die vollständig durch Künstliche Intelligenz – also ohne menschliche Beteiligung – abgeschlossen werden, rechtlich bindend sind. Der Prozess brachte die Beteiligten mit neuen, bislang unbekannten Beweisfragen in Berührung, die für zukünftige Fälle von entscheidender Bedeutung sein könnten.
Durchgeführt wurde das Planspiel an einem fiktiven „Landgericht Südlingen“ und wurde in den Räumlichkeiten des Amtsgerichts Frankfurt am Main abgehalten. Wirklich real waren vorerst lediglich die Richter, Anwälte und Sachverständiger, die in diesem Prozess zu Wort kamen. Sachverhalt, Problemstellen und Beweismittel unter anderem wurden genauestens entwickelt, um möglichst alle praxisrelevanten Fragen zu klären.
Worum geht`s?
Im Mittelpunkt des Falls standen zwei Bestellungen eines fiktiven Unternehmens, das für seine Produktion Wälzlager benötigt, bei einem ebenfalls fiktiven Industriebetrieb, der diese herstellt. Beide Bestellungen wurden vollautomatisch abgewickelt, wobei spezielle Software-Agenten auf beiden Seiten die Verhandlungen über Menge und Preis führten. Hierdurch entstanden sogenannte Smart Contracts, bei denen auf den ersten Blick kein Mensch beteiligt zu sein scheint. Diese basierten im vorliegenden Fall auf Blockchains, die zur dezentralen Speicherung dieser Verträge generiert sind, was der Sicherstellung einer reibungslosen Vertragsausführung dient. Sobald die im Vertrag festgelegten Bedingungen erfüllt sind, tritt der Smart Contract in Kraft, was entweder eine Zahlung auslöst oder den Versand von Produkten veranlasst.
Der erste der beiden Vertrag wies Kontroversen im Vertragsschluss auf, da der Beklagte bestritt, überhaupt eine Bestellung vorgenommen zu haben. Dies warf die zentrale Frage auf, inwiefern Künstliche Intelligenz rechtlich bindende Verträge abschließen kann. Bei der zweiten Bestellung stand außer Frage, dass ein Vertrag zustande gekommen war, jedoch wies die gelieferte Ware Sachmängel auf. Das Gericht musste dann klären, ob die Mängelrüge des Beklagten tatsächlich rechtzeitig erhoben wurde. Dieser behauptete, dies sei der Fall, jedoch habe eine Systemstörung zu einer verspäteten Übermittlung geführt.
In beiden Streitfällen stand das Gericht vor der Herausforderung, die Beweisfähigkeit der vorgelegten Dokumente zu beurteilen. Dabei ging es um Fragen wie: „Sind automatisch erzeugte Bestellprotokolle zulässige Beweismittel?“ und „Kann die Dokumentation mittels Blockchain-Technologie als Beweismittel anerkannt werden?“. Rechtlich stellten sich im Wesentlichen zwei zentrale Fragen: „Können Maschinen Verträge abschließen?“ und „Wer trägt das Risiko von Systemstörungen?“.
Zentrale Schlussfolgerungen:
Die Dokumentation eines Smart Contracts auf Basis der Blockchain-Technologie wurde von den Richtern als verlässliches und gerichtsfestes Beweismittel anerkannt. Dies markiert einen bedeutenden Fortschritt in der Rechtssicherheit und schafft Klarheit für Unternehmen, bei der Verwendung von KI. Durch diesen Nachweis konnte ein gültiger Vertragsschluss bei der ersten Bestellung festgestellt werden.
Das Zivilrecht sucht in Hinblick auf Willenserklärungen nach der menschlichen Komponente
Inhalt und Abgabezeitpunkt einer Willenserklärung wir hier von Software-Agenten, einem automatisierten Vorgang übernommen. Doch der menschliche Ursprung ist auch hier unabdingbar, nur eben an anderer Stelle zu finden als gewöhnlich.
Zwar Bei einem Vertragsschluss mittels KI liegt der menschliche Beitrag in der Festlegung der rahmengebenden Parameter. Am „Beginn der Kette“, wie es im Urteil heißt, „muss eine natürliche Person stehen, die erkennbar Urheber der elektronischen Willenserklärung ist.“ Die Vorentscheidungen bei der anfänglichen Konzipierung einer KI sind weiterhin menschlicher Natur und somit entscheidender Dreh- und Angelpunkt bei Rechtsfragen zu Willenserklärungen und Haftung.
Das Urteil zeigt, dass das bestehende Zivilrecht weitaus besser mit den Herausforderungen der Künstlichen Intelligenz umgehen kann, als zunächst angenommen. Das Gericht hat die bislang unklare Rechtslage im Bereich der Smart Contracts und Blockchains durch klare Antworten auf die im Planspiel aufgeworfenen Fragen erheblich geklärt. Dies ist ein großer Schritt für die „Industrie 4.0“ und legt durch diesen Präzedenzfall eine solide Grundlage für zukünftige Fälle in der Praxis.
Autorin: Sarah Rott