Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) wurde 2005 ursprünglich als Reaktion aufgrund der Vielzahl ähnlicher Klagen von Anlegern gegen die Deutsche Telekom eingeführt. Das Gesetz diente der Zusammenfassung mehrerer gleichgelagerter Gerichtsverfahren durch die Bündelung zentraler Rechtsfragen in einem einzigen Musterverfahren. Dadurch sollte Anlegern den Weg zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen erleichtern und gleichzeitig die Justiz entlasten.
Rechtzeitig vor Ablauf der Befristung des KapMuG haben Bundestag und -rat sich am 05. Juli 2024 auf eine Reform des Gesetzes geeinigt. Diese Reform greift aktuelle Entwicklungen und bisherige Schwachstellen des bisherigen Verfahrens auf und zielt darauf ab, die Effizienz und Rechtssicherheit bei massenhaften Schadensfällen zu verbessern und außerdem dadurch auch das Justizsystem erheblich zu entlasten. Die Reform bleibt jedoch nicht ohne Herausforderungen und birgt das Potenzial für neue Risiken.
Der Inhalt der Reform
Zu den bedeutendsten Änderungen zählt die Erweiterung des Anwendungsbereichs des KapMuG. Die Reform passt dieses an neue Entwicklungen im Kapitalmarktrecht an und bezieht nun auch Schadensersatzansprüche gegen Anbieter von Kryptowerte-Dienstleistungen und geht damit über traditionelle Finanzinstrumente hinaus. Darüber hinaus wurden neue Kategorien kapitalmarktrelevanter Informationen hinzugefügt und konkretisiert, die in das KapMuG-Verfahren einbezogen werden. Neben klassischen Angaben in Jahresabschlüssen und Prüfungsvermerken von Wirtschaftsprüfern umfasst die Reform auch Informationen aus Kryptowerte-Whitepapern, Informationsblättern von Schwarmfinanzierungsdienstleistern und Angaben in Ratings.
Die wohl zentralste Erneuerung durch die Reform ist die Einführung eines sogenannten Opt-in-Modells. Während bisher alle Verfahren, die die gleichen Streitfragen betrafen, nach der Eröffnung eines Musterverfahrens automatisch ausgesetzt wurden müssen sich Kläger und Beklagte nun aktiv entscheiden, ob sie am Musterverfahren teilnehmen möchten. Diese Änderung soll das KapMuG-Verfahren beschleunigen, indem die Zahl der Verfahrensbeteiligten potenziell reduziert wird. Die Einführung des Opt-in-Verfahrens ist jedoch nicht unumstritten. Krititker sehen darin das Risiko, dass das Ziel des KapMuG dadurch verfehlt wird und die ursprünglich angestrebte Bündelungswirkung des KapMuG abschwächt wird. Denn durch die parallele Verhandlung ähnlicher Rechtsfragen in verschiedenen Einzelverfahren könnte die Justiz zusätzlich belastet werden, und das Risiko widersprüchlicher Urteile könnte steigen.
Die Reform sieht zudem Anpassungen bei der Verjährungsregelung vor. Die Hemmung der Verjährung tritt nunmehr mit der öffentlichen Bekanntmachung des Vorlagebeschlusses ein, sofern die Ansprüche zum Musterverfahren angemeldet werden. Eine separate Klageerhebung zur Hemmung der Verjährung ist nicht mehr erforderlich. Diese Neuregelung vereinfacht das Verfahren und bietet Klägern eine zusätzliche Sicherheit.
Auch in der praktische Durchführung des Verfahrens sind neue organisatorische Maßnahmen angedacht. Zusätzlich zur elektronischen Aktenführung ab dem 1. Januar 2025, wird das KapMuG auch eine Beweismittelvorlage ermöglichen: Auf Antrag des Musterklägers oder eines Beklagten kann das Oberlandesgericht die Vorlage von Beweismitteln, die sich im Besitz der Gegenseite oder Dritter befinden, anordnen. Diese Neuerung adressiert potenzielle Informationsasymmetrien zwischen Kläger- und Beklagtenseite und soll insbesondere Anleger mit geringeren Ressourcen besserstellen.
Um das Musterverfahren weiterhin zu beschleunigen, wird dir Frist zur Bekanntmachung eines Musterverfahrensantrags von sechs auf drei Monate verkürzt. Auch die Entscheidung über die Eröffnung des KapMuG-Verfahrens obliegt nun direkt dem Oberlandesgericht, ohne dass es auf den Beschluss des Prozessgerichts ankommt. Diese Änderungen sollen die Effizienz des KapMuG-Verfahrens steigern und eine schnellere Entscheidung ermöglichen.
Konkrete Konsequenzen für Kläger und Beklagte
Für die Prozessführung bringt die Reform sowohl für Kläger als auch Beklagte signifikante Konsequenzen mit sich. Kläger erhalten durch das neue Modell mehr Handlungsspielraum, da sie nun entscheiden können, ob eine Teilnahme am KapMuG-Verfahren für sie vorteilhaft ist. Falls ein Opt-in ausbleibt, und sie sich damit gegen eine Teilnahme entscheiden, können sie ihre Ansprüche möglicherweise schneller und kostengünstiger in einem Einzelverfahren oder durch eine Verbandsklage geltend machen.
Für die Beklagtenseite ergibt sich eine komplexere Situation. Sie laufen Gefahr, sich in mehreren parallel geführten Verfahren denselben Vorwürfen stellen zu müssen, was die Verteidigungskosten und das Risiko widersprüchlicher Entscheidungen erhöht.
Zusammengefasst verspricht die KapMuG-Reform 2024 eine Beschleunigung und Anpassung des Verfahrens an moderne Kapitalmarktbedingungen. Das neue Opt-in-Verfahren schwächt jedoch die ursprüngliche Bündelungswirkung des KapMuG ab, wodurch sich Kläger und Beklagte auf veränderte Verfahrensstrategien einstellen müssen – eine fundierte rechtliche Beratung ist dabei unabdingbar.
Autorin: Sarah Rott