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Bestellung des Vorstands einer AG zum Geschäftsführer der Tochter-GmbH

BGH v. 17.1.2023 – II ZB 6/22

Bei der Entscheidung über die Ernennung eines Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft zum Geschäftsführer ihrer Tochtergesellschaft ist die Vertretungsbefugnis gemäß § 181 Fall 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) eingeschränkt. Es gilt zu beachten, dass § 112 Satz 1 des Aktiengesetzes (AktG) nicht auf die Ernennung eines Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft zum Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft anwendbar ist.

Worum geht’s?

Die Antragstellerin ist eine in der Gründung befindliche GmbH, deren alleinige Gesellschafterin die J-AG ist. Die J-AG wird von den Vorstandsmitgliedern D, E und T vertreten, entweder gemeinsam mit einem anderen Vorstandsmitglied oder jeweils allein in Begleitung eines Prokuristen. Am 4. Dezember 2019 bevollmächtigten die Vorstandsmitglieder E und T, die in ihrer Eigenschaft als gesamtvertretungsbefugte Geschäftsführer der J-AG handelten, O notariell, um die J-AG bei der Gründung von GmbHs und der Bestellung von Geschäftsführern zu vertreten.

Am 5. Dezember 2019 gründete O in seiner Funktion als Vertreter der J-AG die Antragstellerin. Dies erfolgte in notarieller Form. Der dabei geschlossene Gesellschaftsvertrag der Antragstellerin sieht vor, dass die Gesellschaft einen oder mehrere Geschäftsführer haben kann. Wenn nur ein Geschäftsführer bestellt ist, vertritt er die Gesellschaft allein. Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so wird die Gesellschaft von zwei Geschäftsführern gemeinsam oder von einem Geschäftsführer gemeinsam mit einem Prokuristen vertreten. In einer gleichzeitig abgehaltenen Gesellschafterversammlung bestellte O die drei zuvor genannten Vorstandsmitglieder der Alleingesellschafterin zu Geschäftsführern der Antragstellerin. Im April 2020 erfolgte sodann die ordnungsgemäße Anmeldung der Gesellschaft und ihrer Geschäftsführer zur Eintragung ins Handelsregister durch einen Notar.

Am 29. April/29. Mai 2020 erhielt die Antragstellerin eine Zwischenverfügung vom Amtsgericht (Registergericht). Darin wurde ein Eintragungshindernis mitgeteilt und die Antragstellerin aufgefordert, hinsichtlich der Geschäftsführerbestellung vom 5. Dezember 2019 bezüglich der Vorstandsmitglieder E und T eine Genehmigung durch den Aufsichtsrat der Alleingesellschafterin vorzulegen, einschließlich einer zusätzlichen Befreiung der Vorstandsmitglieder von den Beschränkungen des § 181 Fall 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) für den speziellen Fall. Nach einer Beschwerde der Antragstellerin hob das Oberlandesgericht (OLG) die Zwischenverfügung auf, soweit darüber hinaus die Vorlage einer Befreiung der Vorstandsmitglieder von den Beschränkungen des § 181 Fall 1 BGB für den konkreten Einzelfall gefordert worden war, und wies die Beschwerde im Übrigen zurück.

Infolge einer Rechtsbeschwerde der Antragstellerin hob der Bundesgerichtshof (BGH) den Beschluss des OLG sowie die Zwischenverfügung des Amtsgerichts auf und wies das Amtsgericht an, über die Anmeldung der Antragstellerin vom 6. Dezember 2019 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des BGH neu zu entscheiden.

Die Entscheidungsgründe:

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) weist in einem entscheidenden Punkt rechtliche Mängel auf. Das OLG hat zwar korrekt erkannt, dass ein behebbares Eintragungshindernis besteht, da der Beschluss zur Bestellung der Vorstandsmitglieder E und T als Geschäftsführer der Antragstellerin schwebend unwirksam ist. Allerdings ist das OLG fehlerhaft davon ausgegangen, dass der Aufsichtsrat der Alleingesellschafterin für die Erteilung der Genehmigung zur Bestellung der beiden Vorstandsmitglieder E und T als Geschäftsführer zuständig ist.

Gemäß § 9c Absatz 1 Satz 1 des GmbH-Gesetzes (GmbHG) ist das Gericht verpflichtet, die Eintragung abzulehnen, wenn die Gesellschaft nicht ordnungsgemäß errichtet und angemeldet wurde. Eine ordnungsgemäße Errichtung der Gesellschaft umfasst hierbei auch die ordnungsgemäße Bestellung des Geschäftsführers als ein notwendiges Organ. Das OLG hat richtig erkannt, dass die Vorstandsmitglieder E und T in Bezug auf die Beschlussfassung zur eigenen Bestellung nach § 181 Fall 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) in ihrer Vertretungsmacht eingeschränkt waren. Es besteht jedoch Meinungsverschiedenheit darüber, ob die Selbstbestellung von Vorständen einer Aktiengesellschaft zu Geschäftsführern einer Tochter-GmbH unter den Anwendungsbereich des § 181 Fall 1 BGB fällt. Ein Standpunkt argumentiert, dass keinerlei Beschränkungen der Vertretungsmacht des Vorstandsmitglieds bei seiner Selbstbestellung zum Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft bestehen. Die vorherrschende Gegenmeinung hingegen geht von einem Vertretungsverbot gemäß § 181 BGB aus. Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Auffassung an und gelangt zu dem Schluss, dass die Vertretungsmacht des Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft bei der Beschlussfassung über seine Bestellung als Geschäftsführer der Tochtergesellschaft gemäß § 181 Fall 1 BGB beschränkt ist.

Die Entscheidung kann auch nicht aus anderen Gründen als korrekt angesehen werden. Eine Zuständigkeit des Aufsichtsrats zur Genehmigung ergibt sich nicht aus § 112 Satz 1 AktG. Die Frage, ob ein Verstoß gegen § 112 Satz 1 AktG zur Nichtigkeit des jeweiligen Rechtsgeschäfts gemäß § 134 BGB oder zur Anwendung der §§ 177 ff. BGB führt, wodurch die Genehmigung nach § 177 Abs. 1 BGB allein vom Aufsichtsrat erteilt werden könnte, ist in der Rechtsprechung und der Fachliteratur umstritten.

Es gibt unterschiedliche Standpunkte hinsichtlich des Schutzzwecks von § 112 Satz 1 AktG, der darauf abzielt, die unvoreingenommene Wahrung der Interessen der Gesellschaft sicherzustellen und Interessenkonflikte zu verhindern. Einige vertreten die Auffassung, dass der Aufsichtsrat für die Entscheidung über die Bestellung eines Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft zum Geschäftsführer ihrer Tochter-GmbH zuständig sein sollte, um diesem Schutzzweck gerecht zu werden. Die vorherrschende Meinung ist jedoch, dass der Anwendungsbereich von § 112 AktG nicht eröffnet ist, da die Bestellung eines Geschäftsführers als ein Organakt der Tochtergesellschaft und nicht der Muttergesellschaft als Alleingesellschafterin betrachtet wird.

Dieser letzten Ansicht schloss sich auch der Senat an und gelangt zu dem Schluss, dass § 112 Satz 1 AktG auf die Bestellung eines Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft zum Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft  nicht anwendbar ist, da dieser Fall nicht vom Schutzzweck der Norm umfasst ist.

Wenn ein Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft zum Geschäftsführer einer GmbH oder, wie im vorliegenden Fall, einer Vor-GmbH bestellt wird, deren Alleingesellschafter die Aktiengesellschaft ist, liegt keine Vertretung der Aktiengesellschaft gegenüber ihrem Vorstandsmitglied vor, die vom Schutzzweck des § 112 Satz 1 AktG erfasst wird. Die Abstimmung ist vielmehr eine Willenserklärung, die dem Stimmrechtsvertreter der Aktiengesellschaft zuzurechnen ist und in ihrer Eigenschaft als Alleingesellschafterin der Vor-GmbH und nicht gegenüber dem Vorstand abgegeben wird.

Die Bestellungserklärung der Vor-GmbH stellt zwar eine Willenserklärung dar, die gegenüber dem Vorstandsmitglied abgegeben wird. Sie betrifft jedoch kein Rechtsgeschäft der Aktiengesellschaft. Stattdessen handelt es sich um eine unmittelbar für und gegen die Vor-GmbH wirkende Erklärung (gemäß § 164 Absatz 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch), die von der Gesellschafterversammlung als dem Organ abgegeben wird, das für die Umsetzung von Gesellschafterbeschlüssen verantwortlich ist.

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